31.05.1916 - 100 Jahre Skagerrakschlacht/Battle of Jutland

 

Deutscher Schlachtkreuzer SMS Seydlitz (1/350) von Ulf Lundberg

Es werden immer noch Bücher über die Skagerrakschlacht geschrieben, die meisten auf Englisch und einige auf Deutsch. Ein Problem ist aber, dass das Ergebnis der Schlacht, besonders auf der britischen Seite, immer noch diskutiert wird.

Es gibt aber Autoren aus Ländern, die nicht an der Schlacht teilnahmen, die lesenswerte Bücher oder Texte über die Schlacht geschrieben haben. Dieser Artikel basiert auf den Texten von den schwedischen Historikern Jan Olof Ohlsson (Jolo), 1920-1974, und Johan Lupander, geb. 1946. Darüber hinaus wage ich es, einige eigene Schlussfolgerungen zu ziehen.

Voraussetzungen

In seinem dreibändigen Werk über den Ersten Weltkrieg widmet Jolo der Skagerakschlacht ein Kapitel. Besonders interessant ist sein Vergleich des Standes der technischen Ausbildung in Deutschland mit der in Großbritannien. In Deutschland gab es zu dieser Zeit elf Technische Hochschulen mit insgesamt zirka 15 000 Studenten. An die deutschen technischen Hochschulen kamen vor dem Krieg unzählige Studenten aus der ganzen Welt, besonders aus den USA. Unter der erzkonservative Oberfläche war Deutschland ein sehr progressives Land. Wilhelm II war zwar Antisemit, aber er bot dem Juden Albert Einstein eine Stelle am Kaiser Wilhelm Institut für Physik an.

Auf der englischen Seite, gab es überhaupt keine technischen Hochschulen, nur einige Fachschulen mit ungefähr 3 000 Schülern. Bildung in Großbritannien hieß, Geschichte, Latein und Griechisch zu studieren.

Es ist also kein Wunder, dass die Maschinenanlagen der deutschen Schiffe leichter waren, und dass das dadurch eingesparte Gewicht zur besseren Panzerung genutzt werden konnte. Die besseren deutschen Entfernungsmesser, Torpedos, Granaten, Minen, Scheinwerfer und Funkverbindungen lassen sich auch mit dem Stand der Technikausbildung in Deutschland erklären. An Bord der britischen Schiffe waren Stromausfälle ein alltägliches Phänomen. An Bord der Deutschen gab es so etwas fast nicht.

Man sollte sich auch daran erinnern, dass Großbritannien seit dem Krieg mit den USA 1812-1815, keinen Seekrieg gegen einen gleichwertigen Gegner geführt hatte. Der berühmte "Nelson Geist", d.h. die Doktrin, dass der Oberbefehlshaber seinen Unterbefehlshabern seine Absichten mitteilt, und sich dann darauf verlässt, dass sie sie selbstständig und offensiv durchführen, wurde schnell vom "Spit and Polish Geist" ersetzt. Da es so wenige Möglichkeiten gab, sich durch militärische Leistungen auszuzeichnen, wurden Beförderungen daran geknüpft, wer das am schönsten geputzte Schiff hatte.

Dem Admiral Jellicoe waren die Schwächen der Royal Navy voll bewusst. Er war im Offizierskorps ein Außenseiter, nicht nur weil er nicht aus der Oberklasse stammte. Er war ein sehr kompetenter Offizier, der nur einmal in seinem Leben seine Ruhe verloren hat; als er verstand, dass er den Oberbefehl der Grand Fleet bekommen würde. Er versuchte alle Ausreden, die er finden konnte, um das zu vermeiden, aber ohne Erfolg.

Seine Kenntnisse über die deutsche Überlegenheit bei der U-Boot- und Minenkriegführung führte zu seinem Memorandum an die Admiralität, in dem er erklärte, dass, wenn die Deutschen einem Gefecht ausweichen würden, würde er sie nicht verfolgen. Er würde davon ausgehen, dass sie ihn in eine U-Boot- oder Minenfalle zu locken versuchten. Das verstieß absolut gegen die Traditionen der Royal Navy und den Nelson-Geist. Er wusste, dass er dafür scharf kritisiert werden könnte, was auch später geschah. Die Admiralität akzeptierte aber seine Argumente und Winston Churchill, zu der Zeit der erste Sea Lord, schrieb später: "Admiral Jellicoe war der einzige, der den Krieg an einem Nachmittag verloren könnte."

Admiral Beatty, der Befehlshaber des britischen Schlachtkreuzerverbandes, war auf allen Ebenen - Laune, Herkunft, beruflicher Ehrgeiz und Auftreten, das Gegenteil von Jellicoe. Er stammte aus der Oberklasse und Fuchsjagd war sein größtes Interesse. Er wollte seine Flotte wie bei einer Fuchsjagd führen, gerade an den Feind zum Nahkampf. Das Handwerk der Flottenführung interessierte ihn nicht - taktische Übungen, Schießübungen, Signalisieren u.s.w. wurden vernachlässigt. Deshalb schossen die britischen Schlachtkreuzer immer schlecht, es gab immer Probleme mit Beattys Signalen und seine Unterbefehlshaber verstanden seine Absichten nicht. Zweimal während des Krieges traf Beatty mit überlegenen Kräften auf die kleineren und langsameren deutschen Schlachtkreuzer und beide Male verpasste er durch Signalfehler die Möglichkeit, sie zu schlagen. Während der ersten Phase der Skagerrakschlacht unterließ er es, Jellicoe die Position, den Kurs und die Stärke des deutschen Verbandes, mit dem er im Gefecht war, mitzuteilen. Dadurch verspielte er den enormen Vorteil, dass die Briten den deutschen Geheimkode geknackt hatten, und die deutschen Funkmeldungen so lesen konnten.

Britischer Schlachtkreuzer HMS Queen Mary (1/700) von Reiner Vögel

Auf der deutschen Seite gab es keine Probleme dieser Art. Admiral Hipper sendete seinem Befehlshaber Admiral Scheer regelmäßig Berichte über den Kurs und die Stärke des Feindes, und Scheer traute Hipper zu, dass er die richtigen taktischen Entscheidungen träfe. Die deutschen Probleme lagen auf einem anderen Niveau, auf dem höchsten. Die Hochseelotte war Wilhelm II Lieblingskind, und er wollte sie um keinen Preis riskieren. Dazu war die oberste Leitung der Flotte von Bürokratie und internen Konflikten gekennzeichnet. Im März 1916 reichte es Admiral Tirpitz und er kündigte seinen Posten als Befehlshaber der Flotte. Es gelang dem neu ernannten Befehlshaber Scheer, den Kaiser zu überzeugen, dass die Flotte aggressiver genutzt werden sollte. Das größte Problem der Hochseeflotte war aber, dass sie einfach zu klein war. Bei der Skagerrakschlacht war das Stärkeverhältnis zwischen den Flotten 8:5 zum Vorteil der Briten. Die Hochseeflotte war groß genug um die Briten zu irritieren, aber nicht groß genug, um sie wirklich bedrohen zu können. Tatsächlich war die Hochseeflotte eine der wichtigsten Ursachen der Feindschaft zwischen Großbritannien und Deutschland. Hätte Wilhelm II sie nicht gebaut, hätte Großbritannien vermutlich Frankreich als seinen größten Konkurrent betrachtet und unsere Geschichte sähe heute wahrscheinlich ganz anders aus.

Die Hochseeflotte war aber taktisch auf eine Schlacht gegen einen überlegenen Gegner gut vorbereitet. Das beste Beispiel dafür ist die berühmte Gefechtskehrtwendung; die ganze Flotte konnte praktisch gleichzeitig um 180 Grad wenden. Sie war gut eingeübt und wurde zweimal unter schwerem Feuer erfolgreich durchgeführt.

Die Royal Navy konnte so ein Manöver nicht durchführen, was u.a. zum sogenannten "Windy Corner" führte. Als Beatty den deutschen Hauptverband sichtete, wendeten die britischen Schiffe nacheinander am selben Punkt. Die Hochseeflotte konzentrierte ihr Feuer auf diesen Punkt und die britischen Schiffe wurden schwer getroffen.

Ich denke, dass die Leser der Modellmarine schon den Verlauf der Schlacht kennt, aber wer sein Gedächtnis auffrischen will, findet hier ein paar gute Schilderungen.

Skagerrakschlacht
oder auf Englisch hier:
Battle of Jutland

Deutsches Schlachtschiff SMS König (1/350) von Ulf Lundberg

Wer gewann?

Normalerweise wird die Schlacht als mäßiger deutscher taktischer Sieg und als großer britischer strategischer Sieg betrachtet. Die deutsche Flotte versenkte ungefähr doppelt so viel Tonnage als sie selbst verlor; die Briten behielten die Seeherrschaft.

Es gibt aber mehr zu diesem Thema zu sagen. Die Schlacht war ein großer deutscher Propagandasieg. Die Deutschen konnten schnell proklamieren, dass die kleinere Hochseeflotte die große Grand Fleet geschlagen hatte. Die britische Flotte, die die Sieben Meere seit Nelsons Sieg bei Trafalgar beherrscht hatte, sei geschlagen. Durch die Zeitungen der neutralen Länder wurden diese Angaben schnell auch in Großbritannien bekannt. Die britischen Kommuniqués kamen später und konnten nicht anders, als die eigenen Verluste zuzugeben. Den Briten misslang es aber zu erklären, dass sie immer noch die Seeherrschaft hatten.

Beibehaltene Seeherrschaft in allen Ehren, die Schlacht kann nicht anders als ein britisches Versagen betrachtet werden. Die Briten hatten die Deutschen in der Hand, verspielten aber die Möglichkeit, sie zu schlagen. Nicht nur Beatty, sondern auch Jellicoe kann dafür kritisiert werden. Jellicoe hatte die Grand Fleet so organisiert und trainiert, dass sie während der Schlacht von ihm alleine befehligt werden können sollte. Dafür fehlten aber zwei Voraussetzungen:

Zuerst musste es zuverlässige Signalmittel geben, die unter Gefechtsbedingungen, d.h. großen Abständen, Nebel, Rauch, Gefechtbeschädigungen u.s.w. funktionieren. Flaggen- und Scheinwerfersignale waren dieser Aufgabe nicht gewachsen. Der britische Funkdienst wurde zwar schon fünfzehn Jahre früher eingerichtet, war aber nicht nur technisch unreif, sondern wurde auch nicht als vollwertiger Teil der Flotte akzeptiert.

Zweitens mussten die Signalmittel auch tatsächlich benutzt werden. Der Oberbefehlshaber musste fortlaufend Berichte über die feindlichen Dispositionen bekommen. Routinen dafür mussten eingeübt werden.

Nichts deutet daraufhin, dass Jellicoe alles ihm Mögliche geleistet hatte, diese beide Voraussetzungen zu erfüllen.

Den beiden Oberbefehlshabern war klar, dass das Ergebnis der Schlacht eine Art Scheitern war. Einen Monat nach der Schlacht schrieb Scheer dem Kaiser einen Bericht, in dem er erklärte, dass die Hochseeflotte keine realistische Möglichkeit hätte, der Grand Fleet solche Verluste zuzufügen, dass das Machtgleichgewicht auf der Nordsee zugunsten der Deutschen verändert werden könnte. Die einzige, Art Großbritannien zur See zu besiegen, sei, Großbritannien durch einen uneingeschränkten U-Bootskrieg zu schlagen.

Jellicoe schrieb in seinem Bericht, dass das Ergebnis der Schlacht "distinctly unpalatable" (ausgesprochen ungenießbar) sei. Die britische Flotte war zutiefst gekränkt. Wer sich die Mühe macht, auf Youtube einige britische Filme über die Schlacht anzuschauen, kann immer noch Reste dieses Gefühls spüren.

Britisches Schlachtschiff HMS Thunderer (1/700) von Norbert Thiel

Verarbeitung des Ergebnisses

Nach der Schlacht richteten die Briten eine Reihe Arbeitsgruppen ein, um die Ursachen des technischen und taktischen Versagens herauszufinden. Die Vorschläge, die dabei herauskamen, waren zwar gut durchdacht, aber es dauerte lange, sie durchzuführen. Z.B. dauerte es zwei Jahre, ehe der Flotte neue effektive panzerbrechende Granaten geliefert wurden. Die organisatorischen und kulturellen Ursachen des Versagens waren aber viel schwieriger zu beheben. Es kann gesagt werden, dass die Briten Opfer ihrer eigenen Tradition und Disziplin waren. "Speak only when spoken to. Act only when ordered to." (Sprich nur wenn du angesprochen wirst. Handle nur auf Befehl.)

Auf der deutschen Seite wurden auch technische Verbesserungen durchgeführt. Z.B. wurden die Schiffe mit hoch platzierten Feuerleitständen nachgerüstet, die unter der Wasserlinie liegenden Torpedorohre wurden ausgebaut und die Torpedonetze wurden von Bord genommen. Strategisch setzten die Deutschen auf eine U-Bootsoffensive, die zuerst auch sehr erfolgreich war. Da die Schacht offiziell als Sieg betrachtet wurde, gab es aber kein Anlass, sich tiefer mit dem Ergebnis auseinanderzusetzen

Deutsches Schlachtschiff SMS Ostfriesland (1/700) von Bernd Villhauer

Folgen

Die Folgen der Schlacht waren auf allen Ebenen weitreichend. Die Briten behielten ihr Seeherrschaft und konnten dadurch die Fernblockade gegen Deutschland aufrechthalten. Dank ihrer überlegenen Werftressourcen konnten sie sogar ihre Seeherrschaft verstärken. Das führte in Deutschland zu einer Hungersnot und Mangel an Rohstoffen, was zur deutschen Niederlage beitrug.

Die Hochseeflotte war aber immer noch ein achtenswerter Gegner und deswegen konnten die Briten z.B. nicht in die Ostsee vordringen und das wackelnde Russland mit Waffen und Munition unterstützen. Sie konnten auch keine Nahblockade durchführen, was den deutschen U-Bootkrieg ermöglichte.

Die Deutschen fingen mit dem uneingeschränkten U-Bootkrieg an, was zum Eintritt der USA in den Krieg führte und entscheidend für den Sieg der Entente war.

Die ganze Schlacht wurde von schlechten Sichtbedingungen geprägt. Sie wird oft wie ein Kampf im Dunkel zwischen zwei Schwergewichtboxern beschrieben. Das Ergebnis beschleunigte die Entwicklung von Fliegerbeobachtung, Flugzeugträgern und Radaranlagen.

Die Tatsache, dass die schwer getroffenen deutschen Schiffe dank ihrer starken Panzerung ihre Heimathafen erreichen konnten, beeinflusste vermutlich auch die Konstruktion der Schlachtschiffe der späteren Scharnhorst- und Bismarck-Klassen.

Auf der deutschen Seite wurde der deutsche "Sieg"’ Teil der Dolchstoßlegende, was zur Machtübernahme des Nationalsozialismus beitrug.

Auf der britischen Seite bildeten sich zwei "Parteien". Die "Beatty-Partei" lobte Beattys offensiven Geist und warf Jellicoe übertriebene Vorsicht vor. Die "Jellicoe-Partei" warf Beatty undurchdachte Taktik und Versagen bei der Signalisierung vor und verteidigte Jellicoes Vorsicht. Manchmal kann man immer noch diesen Streit in britischen Schilderungen spüren.

Britisches Schlachtschiff HMS Malborough (1/600) von Frank Spahr

Nachspiel

Im Dezember 1916 wurde Jellicoe zum ersten Sea Lord ernannt und gegen seinen Willen bekam Beatty den Oberbefehl über die Grand Fleet. Im November 1919 wurde Beatty zum ersten Sea Lord ernannt.

1935 starb Jellicoe und seine Beerdigung war selbstverständlich ein Staatsakt. Beatty nahm trotz schwerer Krankheit und hohen Fiebers an der Zeremonie teil. Nicht teilzunehmen hätte als Stellungnahme in der heftigen Debatte über die Skagerrakschlacht betrachtet werden können. Schon nach einigen Schritten neben dem auf einer Kanonenlafette liegenden Sarg stürzte er fast zu Boden. Ein Journalist sah sein Bedrängnis und bot ihm Cognac aus einem Flachmann an. Beatty leerte den Flachmann und ging dann den ganzen Weg neben dem Sarg zur St Paul's Cathedral. Vier Monate später fuhr er denselben Weg auf derselben Lafette.

Jetzt, hundert Jahre später, sind die Schiffe verschrottet, die 8 645 Gefallenen, die zirka 1 200 Verwundeten und alle anderen Teilnehmer sind seit Langem beerdigt. In der EU kümmern wir uns darum, was wir mit einer Million Flüchtlinge machen sollen, statt darum, was wir mit Millionen von getöteten jungen Männern und einer hungernden Bevölkerungen machen sollen, und ob die Briten aus der Union austreten werden.

Ulf Lundberg