Einleitung zum Modell und zum Schiff:
Nachdem ich in einem Modellbauforum immer wieder die gleichen oder ähnliche Fragen von Modellbauern, die mit ihren Baukastenmodellen von historischen Schiffsmodellen überfordert waren, bekommen habe, bin ich auf die Idee gekommen, statt diese Fragen immer einzeln zu beantworten ein Modell zu bauen und dieses von Anfang an in allen Bauphasen genau zu dokumentieren und den Bau zu erklären.
Ich habe dazu die im Buch "Risse von Schiffen des 16. und 17 Jahrhunderts" beschriebene Golden Hind (Plan von Rolf Höckel) gewählt. Da mir der Linienriss dieses Planes abhanden gekommen ist, habe ich mich entschlossen, auf Basis der Seitenansicht und des Längsschnittes aus diesem Plan und den im späten 16. bzw. Anfang 17. Jahrhunderts gültigen Regeln für Schiffsbau (bzw. –konstruktion) eine eigene Rekonstruktion des Linienrisses zu erarbeiten.
Außerdem ist das ein interessanter Vergleich zu einer Rekonstruktion eines Schiffes von ca. 1670, die ich auf Basis von zeitgenössischen Angaben ("Doctrine of Naval Architecture" von Antony Deane, 1670) durchführe.

Der Plan:



Die meisten Rekonstruktionen von Galionen (Golden Hind, Revenge, Mayflower etc.) beruhen offensichtlich alle auf den wenigen Schiffzeichnungen, die aus dieser Zeit erhalten sind, den sogenannten Fragments of English Shipwrightry von ca. 1580. Eine dieser Zeichnungen zeigt den vermutlich ältesten erhaltenen englischen Schiffsplan (Kiel mit Vorder und Achtersteven, 4 Spanten). Die Form des Hauptspant aus dieser Zeichnung dürfte auch Höckel für seine Rekonstruktion verwendet haben.
Das aufschlußreichste Dokument zum englischen Schiffsbau aus dieser Zeit ist eine anonyme Abhandlung von ca. 1620, die die damals verwendete Methode der Schiffskonstruktion ziemlich genau beschreibt. Dieses Dokument war Höckel sicher noch nicht zugänglich (von W. Salisbury 1958 veröffentlicht, eine deutsche Übersetzung davon ist im Buch "Die Geleonen" von Peter Kirsch enthalten). Diese Abhandlung sowie Angaben von Thomas Harriot (ebenfalls ca. 1600) verwende ich für meine Rekonstruktion, die sicher zu einem ganz anderen Spantriss als dem von Höckel führt.
Bevor ich zur Beschreibung der eigentlichen Konstruktion komme, zuerst Einiges zu den Grundlagen dafür.
Die erste Frage ist, was wissen wir von der Golden Hind?
Die Antwort dazu: Leider fast gar nichts!
Originalpläne (ausgenommen einige Fragmente) aus der fraglichen Zeit gibt es keine, ebenso kein Gemälde oder einen Stich der das Schiff zeigt. Die Größe der Golden Hind wird in verschiedenen Urkunden mit 100t, 120t oder 150t angegeben.
Was wir aus jedoch aus einigen alten Handschriften wissen:

  • sind Regeln nach denen die Konstruktion durchgeführt wurde;

  • sind Verhältnisse verschiedener Abmessungen zueinander (Kiellänge, Breite, Raumtiefe, Radien der Bögen aus denen die Spanten zusammengesetzt wurden etc.) Diese Verhältnisse sind nicht absolut sondern immer von ... bis ...;

  • ist, dass alle Spanten aus 3 Kreisbögen zusammengesetzt waren, deren Lage zueinander, nicht aber deren Radius, sich über die Schiffslänge ändert. Diese Kreisbögen waren an Hilfslinien ausgerichtet, die später beschrieben werden. Die sich daraus ergebende Spantform wird nach oben über eine Tangente oder einen nach innen gekrümmten 4. Bogen verlängert und nach unten durch eine Gerade oder ebenfalls durch einen nach innen gekrümmten Bogen mit dem Kiel verbunden;

  • ist, dass die Tonnage nach folgender Formel errechnet wurde: Kiellänge x Breite x Raumtiefe dividiert durch 100 = die Ladefähigkeit in Tonnen.


Desweiteren haben wir die bereits erwähnte anonyme Handschrift von ca. 1620, in der die Konstruktion und das Verhältnis der Abmessungen zueinander erklärt wird und die "Notes on Shipbuilding" von Thomas Harriot (ca. 1600) und viele Abbildungen, Stiche etc. die verschiedene Schiffe aus dieser Zeit zeigen.
Damit ist klar, dass wir kein genaues Abbild der Golden Hind, sondern nur ein Schiff, das dem Typ und der angenommenen Größe der Golden Hind entspricht, rekonstruieren können.

Zu den Abmessungen der Rekonstruktion:
Die Hauptabmessungen (Kiellänge, Breite und Tiefe) lassen sich unter Berücksichtigung bekannter Verhältnisse aus der Tonnage ableiten.
Wie bereits erwähnt, nehme ich als Grundlage für die Rekonstruktion die Seitenansicht bzw. den Längsschnitt der Pläne von Rolf Höckel und habe damit neben der Form von Vorder- und Achtersteven die erste Hauptabmessung: die Kiellänge.
Bei der Ermittlung der Raumtiefe aus der Tonnage haben wir bereits das nächste Problem: Als Tiefe wurde teilweise das Maß Oberkante Kiel bis zur Horizontalen in der größten Breite, teilweise jedoch das Maß von Oberkante der Auflieger (damit ca. 8 Zoll über Kieloberkante) bis zur Oberkante Deckbalken genommen.
Nach den von Höckel verwendeten Maßen errechnet sich eine Tonnage von ca. 92,5 t.
Das beste Breiten - Längenverhältnis ist 9:25 (= 0,36).
Die Raumtiefe soll zwischen einem Drittel und maximal der halben Breite liegen (bei Höckel ca. 0,55 b). Um bei der Tiefe nicht das Maximum zu überschreiten habe ich sie mit 9’4" angesetzt und die Breite gegenüber dem Höckel Plan etwas erhöht auf 18’8".
Die Maße von Kiel, Vorder- und Achtersteven etc. habe ich vom Höckel’schen Plan übernommen, aber jeweils so gerundet, dass sich die Maße jeweils auf Fuß und Zoll ausgehen.

Die Konstruktion:
1. Seitenriss und Hilfslinien zur Konstruktion der Spantform.
Neben dem Umriss in der Seitenansicht sind es 4 Hilfslinien, durch die in erster Linie die Form des Rumpfes bestimmt wird:


1) Narrowing Line of Breadth (rot in der Draufansicht)
2) (grün in der Draufansicht)
3) Hight of Breadth Line oder Upper Rising Line (rot in der Seitenansicht)
4) Rising Line of Floors oder Lower Rising (grün in der Seitenansicht)
5) Toptimber Line (blau in der Seitenansicht)
6) Toptimber Line (blau in der Draufsicht)
1) und 2) bzw. 3) und 4) sind jeweils die gleichen gekrümmten Linien jeweils in Seitenansicht bzw. Grundriss.
An diesen Hilfslinien wurden die Spantbögen ausgerichtet. Während die Line of Breadth und die Toptimber Line tatsächlich an der Außenseite des Rumpfes verlaufen (und dort angezeichnet werden könnten) sind die Lines of Floors 3) und 4) nur theoretische Linien, die zur Konstruktion benötigt werden, aber eigentlich im Innen des Rumpfs verlaufen und nur beim Hauptspant die Außenseite berühren (dazu später mehr).
Die Narrowing Line of Breadth und die Narrowing Line of Floors sind im Achterschiff (vom Hauptspant nach hinten) eine Kurve 3. Potenz, im Vorschiff eine Kurve der 4. Potenz, die Rising Line of Floors und die Hight of Breadth Line sind Kreisbogen, die Toptimberline ist die gleiche Linie wie die Hight of Breadth Line jedoch um die Raumhöhe nach oben versetzt. Eine andere Variante für die Toptimberline wäre bei jeder Spantposition die jeweilige Höhe der Hight of Breadth Line zu verdoppeln. Verschiedene Schiffsbauer (Konstrukteure) werden vermutlich unterschiedliche Kurven verwendet haben.

2. Konstruktion der Spanten:


Ende des 16. / Anfang des 17. Jahrhunderts wurden (zumindest bei englischen Schiffsbauern) alle Spanten aus folgenden Bögen zusammengesetzt (deren Radien ich in den folgenden Skizzen mit R1, R2, R3 und R4 bezeichne), die an den erwähnten Hilfslinien ausgerichtet wurden:


Bild 1
R1 Floor Sweep (Unterer Spantbogen) wird an der Narrowing Line of Floors angesetzt
R2 Reconciling Sweep (verbindet den Floor Sweep mit dem Breadth Sweep)
R3 Breadth Sweep (
R4 Toptimber Sweep (wurde oft durch eine Gerade ersetzt

Die eingezeichneten Spanten sind vor dem Hauptspant mit Buchstaben, hinter dem Hauptspant mit Zahlen bezeichnet. Als Spantabstand habe ich 768 mm gewählt (um im Maßstab 1:64 auf 6mm starke Spanten mit jeweils 6 mm Abstand zu kommen).


Bild 2
Bild 2 zeigt den Hauptspant in 2 Versionen, einmal konstruiert aus den Radien R1, R2 und R3 und darüber einer Geraden (Tangente von R3 zur Toptimber Line) und einmal aus 4 Bögen.
Die in Bild 2 und Bild 4 eingezeichneten Kreuze zeigen die Lage der 4 Hilfslinien in den jeweiligen Querschnitten (Spanten)


Bild 3

Bild 4
Bild 3 zeigt einen Spant im hinteren Teil des Schiffes, Bild 4 den gleichen Spant (links) und einen Spant im Vorschiff (rechts). Die Lage der Hilfslinien (Line of Breadths etc.) ist in Bild 2 und 4 jeweils durch Kreuze in den entsprechenden Farben eingezeichnet. Bild 4 zeigt, dass wie bereits erwähnt die Line of Floors im Schiffsinneren verläuft (grüne Kreuze). Die unteren Spantbögen werden mit dem Kiel durch einen Bogen mit dem Radius R1 verbunden (dies ist jedoch nicht bei allen Spanten möglich([darauf komme ich später zurück]).


Bild 5

Bild 6
Bild 5 und 6 zeigen die so konstruierten Spanten bis zur Höhe der Toptimber Line (das ist noch nicht die endgültige Höhe) und noch ohne Verbindung der Floors zum Kiel (wie in Bild 4 eingezeichnet) In Bild 5 sind alle Radien R1 und R 3 eingezeichnet, beide Bilder zeigen die Line of Breadths (rot) und die Floor Line (grün) in Vorder- (rechts) bzw. Hinteransicht (links). In Bild 6 sind außerdem die (mit Ausnahme des Hauptspants nur theoretischen Floors) als waagrechte grüne Linien eingezeichnet.
Eine Kontrolle mittels gezeichneter Wasserlinien zeigt, dass die so ermittelten Spanten einen harmonischen Verlauf haben, da aber im Vorschiff ab ca. Spant G die Line of Floors stark ansteigt und gleichzeitig der Kiel in den noch oben verlaufenden Vorsteven übergeht und das Schiff damit im unteren Bereich sehr schmal wird, muss die Form von Spant G und der Spanten davor allerdings geändert werden. Dies lässt sich mit dieser Konstruktionsmethode allerdings nicht erreichen, dazu muss man entweder Wasserlinien (die zu dieser Zeit noch nicht gebräuchlich waren) zur Hilfe nehmen oder die benötigte Form auf eine andere Weise finden. Das haben die Schiffkonstrukteure offenbar den Schiffsbaumeistern überlassen. Das gleiche gilt für die verkehrten Bögen, die von R1 zum Kiel laufen.
Die Spanten G und I können wie bereits erwähnt nicht mehr nach der beschriebenen Methode konstruiert werden. Im Bugbereich kann neben der Rising Line of Floors auch die Line of Breadth nicht mehr verwendet werden, da sie einen viel zu spitzen Bug (in der Draufsicht) ergeben würde.
Die Form der Spanten G und I wurden zeichnerisch ermittelt und anhand danach gefertigter Modellspanten überprüft und abgeändert.


Das Gleiche wurde mit Spanten 13 (im unteren Bereich) und den Spanten dahinter gemacht. Die Risse aller Spanten wurden auf Basis des Seitenrisses auf die richtige Höhe gebracht (die Auflanger je nach Spantposition verkürzt bzw. verlängert) und unter dem Flach tangential bzw. mit verkehrten Kurven mit dem Kiel verbunden.
Der so fertig gestellte Spantriss ist in Bild 7 dargestellt.

Bild 7

Gemäß der anonymen Handschrift kann man einen nach dieser Methode ermittelten Spantriss für Schiffe unterschiedlicher Größe verwenden, indem man nur den Maßstab ändert. Ich habe meinen Riss mit einem CAD Programm im Maßstab 1:1 gezeichnet und 1:64 ausgedruckt. Nehme ich diesen Ausdruck mit 1:72 an, so würde er für ein Schiff mit 120 Tonnen gelten, bei 1:96 ergiebt sich ein Schiff mit 306 t. Die Lager der Decks wäre dabei jedoch jeweils anders festzulegen.
Die Breite der Spanten auf Höhe der Toptimber Line liegt zwischen minimal 2/3 und maximal 3/4 der größten Breite. Da die 2/3 als der bessere Wert galten, habe ich diesen Wert verwendet. Dies führt allerdings zu einem extrem schmalen Achterschiff, was man oft auf alten Stichen von Galeonen sieht.
Bei einem so kleinen Schiff wie der Golden Hind mit den angenommenen Maßen ergibt sich allerdings ein Poopdeck mit einer Breite von nur knapp über einem Meter an der Hinterkante.
Aus diesem Grund habe ich den Riss nochmals gezeichnet mit einer Toptimber Line entsprechend 3/4 der größten Breite und komme damit auf ungefähr die Abmessungen des Poopdecks wie in der Rekonstruktion von Höckel:


Der eigentliche Baubericht folgt demnächst.

Klaus Deisenberger